Der Geschirrgriff – So brichst du Verhalten zuverlässig ab
In diesem Beitrag möchte ich euch ein Trainingsinstrument vorstellen, welches noch viel zu unbekannt ist: Der Geschirrgriff. Der Geschirrgriff wurde mir beigebracht von Dr. Ute Blaschke-Berthold von cumcane®. Entwickelt hat ihn Kayce Cover, wir können sehr dankbar dafür sein. Generell sollte der Geschirrgriff immer von einem Hundetrainer angeleitet werden (z.B. aus dem cumcane®-Netzwerk), um Fehler beim Aufbau und bei der Anwendung zu vermeiden. So einfach, wie es sich anhört, ist es im Prinzip auch.Aber vor der Trainingsanleitung erst einmal ein paar Hintergründe zum Geschirrgriff:
Der Geschirrgriff ist ein Abbruch- und Stopsignal und wird über negative Verstärkung in Kombination mit positiver Verstärkung aufgebaut. Der Hund lernt durch den Griff ins Geschirr eine körperliche Bewegungseinschränkung durch den Menschen zu akzeptieren, bei Level 2 dieser auch nachzugeben (= Oppositionsreflex überwinden). Durch die Ankündigung (= Signal) mit einem bestimmten Wort wird im Verlauf des Trainings eine autonome (=reflexive) Reaktion hervorgerufen, so dass der Geschirrgriff auch ohne Sicherung durch die Leine und auf Entfernung zum Stoppen führt. Der Geschirrgriff ist vielseitig einsetzbar. Oft wird er in Situationen angewendet, in denen der Hund Aggressionsverhalten zeigt. um dieses zu unterbrechen.Dies kann man sehr schön auf diesem Video sehen:
Ich kündige den Geschirrgriff mit meinem Signal “Geschirr” an (mittlerweile verwende ich Stop), greife ins Geschirr von Nemo und kann so sein Aggressionsverhalten gegenüber dem fremden Rüden unterbrechen. Nemo ist der schwarze Rüde mit gelbem Geschirr und Schleppleine. Er reagiert besonders stark aggressiv, wenn der braune Rüde mit Norwegergeschirr aggressiv reagiert (er ist steif, Körperschwerpunkt nach oben und vorne, bedroht den fremden, weiß-braunen Rüden). Die Situation ist schwierig für meinen Hund, da der fremde Rüde nicht weggeht.Weitere Anwendungsbeispiele:
Aber der Geschirrgriff ist noch um einiges universeller einsetzbar: Als “Aus”-Signal (Fressbares auf dem Boden, im Spiel mit Besitzer), Als “Stop”-Signal in jagdlichen Situationen, als “Stop”-Signal bei Hundekontakten/-spiel, wenn Signale vom eigenen Hund nicht mehr gelesen werden, Spiel grob wird etc., als “Stop”-Signal an einer optischen Barriere wie z.B. der Bürgersteig und in Kombination mit einem konditionierten Entspannungssignal. Auch beim Buddeln erleichtert der Geschirrgriff das Training. Der Hund wird beim Buddeln unterbrochen mit dem Geschirrgriffsignal und darf einige Mal nach erfolgter Reaktion weiterbuddeln auf Signal (z.B. „Buddeln“) und muss sich erst danach von seinem Mauseloch trennen. Auf diesem Video seht ihr Nemo in jagdlicher Motivation und eine Kombination aus Entspannungssignal („Easy“), Geschirrgriffsignal („Stop“) und darauf folgendem Leinenzug und dem abverlangtem Alternativverhalten („Sitz(en)“). Durch das Filmen mit einer rechten Hand und Leinen in der linken Hand bewegt sich ein paar mal die Leine, wenn ich den anderen Hunden Futter streue. Eine Kombination aus Entspannungssignal und Geschirrgriffsignal ist sinnvoll. Pips wird mit dem Geschirrgriff-Signal unterbrochen, es fungiert als “Aus”-Signal. Ich benutze es sehr viel beim Ball spielen, denn Pips spielt sehr gerne Ball. Auch beim Zergeln kann man dieses Signal sehr gut einsetzen. Der Geschirrgriff bietet sehr viele Möglichkeiten. Und das Tolle daran: Das Signal wird aufgebaut ohne den Hund zu bedrohen, einzuschüchtern oder zu ängstigen. Es wird immer wieder in kleinen Dosen (= kleinschrittiges Training) wiederholt bis der Hund nicht mehr überlegt, was das Signal zu bedeuten hat, sondern automatisch darauf reagiert reagiert. Der Hund kann dann nicht mehr anders als zu reagieren. Das ist die tolle, klassische Konditionierung!Körperliche Einschränkung und Lernen
Noch einmal zurück zur körperlichen Einschränkung: Das heißt, dass der Hund lernt, es geht nicht weiter. Es wird nicht am Hund gezerrt, sondern der Hund lernt auf Level 2 von sich aus nachzugeben, dabei setzen sich die meisten Hunde hin, andere gehen ein oder zwei Schritte seitwärts, manche Hunde nehmen nur den Körperschwerpunkt ein wenig nach hinten. Wir überwinden bei dieser Übung den Oppositionsreflex (= Druck erzeugt Gegendruck) und bringen dem Hund Schritt für Schritt eine neue Verhaltensreaktion bei. Die Bewegungseinschränkung ist für einen sehr empfindlichen Hund sehr unangenehm. Wir fügen der Situation also etwas Unangenehmes hinzu (= positive Strafe). Durch das Ankündigungswort (z.B. Stop) hat der Hund die Chance zu lernen, wenn er dieses Signal hört und richtig reagiert, bleibt das Unangenehme aus (= negative Verstärkung). Um es dem Hund angenehmer zu machen, setzen wir zusätzlich Futter ein als positive Verstärkung. Beim Geschirrgriff ist ein richtiger Aufbau (wie bei allen Signalen) sehr wichtig.Level 1: Einstieg
* Signal “Stop” (oder ein Anderes) sagen * Kurz durchatmen (kleine Pause) * Ins Geschirr greifen und Zug aufbauen * Markersignal geben * Futterbelohnung geben * Zug wegnehmen und Geschirr loslassenLevel 2: Fortgeschritten
* Signal “Stop (oder ein Anderes) sagen * Kurz durchatmen (kleine Pause) * Ins Geschirr greifen und Zug aufbauen * Warten bis der Hund ein kleines bisschen nachgibt (am besten auf die Pfoten schauen) * Markersignal geben * Futterbelohnung geben * Zug wegnehmen und Geschirr loslassenDas passende Signal
Das Signal für den Geschirrgriff kann individuell gewählt werden, es sollte klar ausgesprochen werden, mit normaler Sprechstimme, nicht unfreundlich, aber auch nicht geflüstert. Für taube Hunde verwendet man ein Sichtzeichen anstatt des Hörzeichens. Die kurze Pause zwischen dem Wortsignal und dem Reingreifen ins Geschirr hat mehrere Aspekte. Zum Einen kündigen wir so unsere nächste Handlung an und unsere Körpersprache richtet sich unbewusst darauf aus, welche der Hund imstande ist zu lesen. Zum Anderen trennen wir durch die kurze Pause das Wortsignal von der nachfolgenden Aktion sehr genau und der Hund kann eine klare Verknüpfung herstellen (Denkt dabei an die klassische Konditionierung, die hier vorliegt.). Erst durch diese klare Trennung kann das Signal für den Geschirrgriff später auch auf Distanz funktionieren.Achte auf deine Körpersprache
Am Anfang sollte der Mensch sich seitlich zum Hund ausrichten und auch seitlich in das Geschirr greifen. Bei kleinen Hunden sollte der Mensch sich zuerst auf die Ebene des Hundes begeben um ein “Grabschen” zu vermeiden. Alternativ kann bei kleinen Hunden und Menschen mit Knieproblemen der Geschirrgriff über den Zug an der Leine (am Geschirr befestigt) aufgebaut werden. Am Anfang sollte die Annährung der Hand zum Geschirr langsam erfolgen. Auch der Griff ins Geschirr sollte am Anfang eher seitlich passieren. Erst mit zunehmenden Trainingsstand wird die Position des Menschen verändert und es wird dann auch aus ungünstigen Winkeln (für den Hund) gearbeitet. Zum Trainingseinstieg sollte eine bedrohliche Körperhaltung des Menschen vermieden werden.Achtung bei rückgerichteter Aggression
Bei Hunden, die schlechte Erfahrungen mit der Hand des Menschen gemacht haben oder die sehr starke rückgerichtete Aggression zeigen, sollte der Aufbau “Mensch greift ins Geschirr” deutlich langsamer und vorsichtiger aufgebaut werden. Der Hund sollte kein Meideverhalten zeigen, wenn eure Hand kommt. Mit Meideverhalten ist beispielsweise Kopf wegdrehen oder sogar weggehen gemeint. Der Hund soll entspannt stehen oder sitzen, später laufen. Wenn euer Hund sehr ängstlich ist, nehmt euch Zeit beim Aufbau des Reingreifens. Zug aufbauen bedeutet je nach Hund: Das Geschirr ein wenig anheben, damit der Hund spürt, dass sich etwas tut und er nicht weiter nach vorne kommt. Der Zug muss dem Hund angepasst sein. Und ganz wichtig: Der Hund soll nicht nach hinten oder zur Seite weggezogen werden, durch den Zug am Geschirr wollen wir nicht die Position des Hundes verändern. Das ist ganz wichtig für einen korrekten Aufbau. Es geht bei diesem Zug um den Oppositionsreflex (Druck = Gegendruck), welcher durch klassische Konditionierung umgewandelt werden soll. Zug bitte nie nach oben aufbauen, denn nach oben kann der Hund nicht nachgeben. Besser seitlich nach hinten, in diese Richtung kann der Hund gut nachgeben. Das Markersignal wird gegeben, sobald Zug aufgebaut wurde. Auf Stufe 2 erst, wenn der Hund nachgibt. Je nach Ausbildungsstand des Hundes und der Situation wird ein Umdrehen oder nur eine Gewichtsverlagerung “verlangt”. Hat der Hund einen schlechten Tag, dann gibt man sich einfach mit weniger zufrieden. Nicht linear denken. Arbeitet ihr mit Clicker, achtet darauf, nicht direkt hinter den Ohren des Hundes zu clicken. Warum? Probiert es einfach bei euren eigenen Ohren aus und ihr wisst, warum. Es empfiehlt sich beim Geschirrgriff mit Markersignal zu arbeiten, es erleichtert das Handling. Den Zug weiterhin halten, während dem Hund ein Stück Futter gegeben wird. Hat der Hund aufgegessen, Geschirr loslassen und somit nehmen wir auch den Zug weg. Ich empfehle euch allen: Lasst euch den Geschirrgriff von jemandem zeigen, der ihn schon oft praktiziert hat und der euch den korrekten Aufbau zeigt (möglichst ein Hundetrainer oder erfahrener Geschirrgriffler).Was gibt es noch zu sagen?
Bei Hunden, die wenig empfindlich sind, ist der Aufbau des Geschirrgriffs um ihn mit Signal ohne Reingreifen verwenden zu können, eine Fleißarbeit. Bei diesen Hunden braucht ihr sehr viele Wiederholungen. Dabei ist wichtig: Immer nur 2 – 3 Mal hintereinander in kleinen Dosen und dafür mehrmals am Tag. Bei Hunden, die empfindlich sind, funktioniert das Signal im Freilauf sehr schnell. Wenn der Hund an der langen Leine ist, ihr gebt das Signal für den Geschirrgriff und der Hund stoppt, wird sofort markiert. Die negative Konsequenz (Reingreifen) bleibt aus! Das ist ganz wichtig! Belohnt den Hund immer entweder bei euch oder nach hinten. Ich würde den Hund nie so belohnen, dass er die eben gegebene Grenze überschreiten muss. D.h. die Belohnung gibt es immer hinter dem Hund. Passend zur Motivation des Hundes könnt ihr als Belohnung einsetzen: Mäuschenspiel (Lauerspiel), Schauen nach Wild oder auch Suchspiele. Das kommt auf den Kontext der Situation drauf an.Im Alltag:
Der Geschirrgriff lässt sich auch am Halsband praktizieren. Bitte verwendet keine dünnen Schnürchen, keine Ketten- oder Würgehalsbänder. Auch ohne Geschirr könnt ihr den Hund nach dem Signal vorne am Brustkorb mit der flachen Hand berühren und leichten Druck ausüben. Ideal vor dem Füttern, als Alternative zum 10-Minuten-Sitzen-müssen-und-warten. Geschirrgriff kann auch über Leinenzug (Mensch zieht) aufgebaut werden.Für diesen Hund speziell ist der Zug am Geschirr zu sanft. Dani steht seitlich zu Shanti.
So spürt Shanti den Geschirrgriff.
Auch bei Teddy sieht man den Geschirrgriff deutlich.
Bei dieser Hundegröße muss sehr vorsichtig verfahren werden. Zu starker Zug kann den Hund aus dem Gleichgewicht bringen. Das wiederum ist sehr unangenehm für den Hund und kann schnell zu Meideverhalten führen.
Hallo 🙂
Sehr informativer Artikel. Ich bin nur etwas verwirrt – du beschreibst den Geschirrgriff hier als positive Strafe und machst auch keinen Hehl daraus. Du schreibst sogar, dass man bei unempfindlichen Hunden fester ins Geschirr greifen muss, damit es unangenehm wird. Unten steht aber das TsD-Abzeichen. Das ist jetzt für mich irgendwie ein Widerspruch. Hab ich hier was falsch verstanden? 🙂
Kann man den Geschirrgriff nicht auch als Entspannungssignal aufbauen statt als positive Strafe?
Viele Grüße!
Du hast es etwas falsch verstanden. Ich beschreibe lediglich den Aufbau und die verschiedenen Komponenten der Lerntheorie. Das ich ins Brustgeschirr greife und Druck ausübe, damit den Hund in seiner Bewegungsfreiheit einschränke, ist ganz klar eine negative Handlung. Diese wird durch das Markersignal positiv belegt.
Bei unempfindlichen Hunden muss ich fester ins Geschirr greifen, damit sie es spüren. Dabei soll der Hund keinesfalls vom Platz bewegt werden.
Du kannst nach erfolgtem Aufbau den Geschirrgriff auch mit einem Entspannungssignal verknüpfen. Bitte halte dich nicht so stark an der positiven Strafe fest, denn zusätzlich wirkt auch positive und negative Verstärkung PLUS die Ankündigung von dem Negativen, welches mit etwas Positivem belegt wird.
Ich finde es gut, dass der Hund nicht weggezogen wird. So hat das Ziehen von Hund und Herchen ein Ende. Man fällt in der Öffentlichkeit auch nicht so auf. So kann ich mir die vielen guten Ratschläge von Nichthundehaltern sparen. 🙂
Wegziehen führt in vielen Fällen meist eh zu Aggressionsverhalten, da der Hund aus dem Gleichgewicht gerät und dies ist häufig dann das Tüpfelchen auf dem „i“